Promotionsprojekt Franziska Reichenbecher

Medien der Gastlichkeit. Reinigungsarbeiten, Architekturen und Tischkulturen

 

Die Dissertation untersucht die medialen Bedingungen von Alltagsgastlichkeit mit Blick auf Reinigungsarbeiten, Architekturen und Tischkulturen. Ausgangspunkt ist das Verständnis von Gastlichkeit als ein grundlegend verteiltes Phänomen, das sich über räumliche Distribution, als anthropomediale Relationen und spezifisch über dienende Delegationen fassen lässt. Damit leistet die Arbeit einen Beitrag zu einer medienwissenschaftlichen Alltagskulturforschung und ergänzt den philosophischen und kulturwissenschaftlichen Diskurs zur Gastfreundschaft um eine dezidiert medienanthropologische Perspektive.

 

Ziel der Arbeit ist es, entlang der Achsen Reinigungsarbeiten, Architekturen und Tischkulturen das Feld der Gastlichkeit in seiner konstitutiven Medialität und Heterogenität zu beleuchten und damit den Desideraten der bisher etablierten Gastlichkeitsforschung zu begegnen: Alltägliche Gastlichkeiten sowie Situationen, die nicht auf den ersten Blick ›gastlich‹ erscheinen, sind in den einschlägigen Gastfreundschaftstheorien (Kant, Lévinas, Derrida, Bahr) weitgehend unberücksichtigt geblieben, insofern diese sich nämlich auf die makropolitischen, ethischen und metaphysischen Implikationen einer stets normativ verstandenen Gastfreundschaft konzentrieren, die sich in erster Linie als Herausforderung von Staaten, Nationen und Kulturen zeigt (Liebsch). Ihre prekäre Umsetzbarkeit wird dabei traditionell auf einen unlösbaren Widerspruch zwischen dem Ideal unbedingter Hospitalität und der stets bedingten Gastfreundschaftspraxis zurückgeführt, wodurch der Blick auf eben jene verteilten medialen Aushandlungsprozesse des Gastlichen tendenziell verstellt wird, die diese Arbeit mittels eines relationalen, mikropolitischen und normativ neutralen Gastlichkeitsbegriffs ins Zentrum rücken möchte. Gastlichkeiten werden somit als anthropo­mediale Verstrickungen menschlicher und nicht-menschlicher Akteure begriffen, die gerade nicht gelingen oder angenehm sein müssen, sondern grundsätzlich Arbeit für alle Beteiligten bedeuten, scheitern und eskalieren können sowie unklare Verhältnisse und hybride Rollen einschließen.

Der Materialkorpus der Arbeit besteht aus zeitgenössischen alltagskulturellen Reprä­sentationen von Gastlichkeit: Die szenische Reflexion des Gastlichen in der Darstellung ubiquitärer, aber auch überspitzter Gastlichkeitskonstellationen in Film und Fernsehen soll hier ebenso produktiv gemacht werden wie die konkrete Materialität und der praktische Gebrauch von dinglichen Objekten sowie das in schriftlichen und visuellen Quellen wie etwa Grundrissen, Katalogen, Handbüchern und Fotografien verfasste ›Wissen vom Gastlichen‹. Die heuristische Unterscheidung von Reinigungsarbeiten, Architekturen und Tischkulturen bildet die drei entscheidenden Komplexe ab, in denen sich die Relationalität von Gästen und Gastgebern sowohl über operative Logiken als auch in konkreten Praktiken stabilisiert und destabilisiert.

In der gegenstandsgeleiteten Analytik dieses programmatisch heterogenen Materialkorpus und in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen (medien)philosophischen, kulturwissenschaftlichen, ethnologischen und ökologischen Konzepten erarbeitet die Dissertation die Medialität alltäglicher Gastlichkeiten insbesondere in Hinblick auf 1. die durch Aneignungs- und Reinigungspraktiken verhandelte Ansässigkeit als Möglichkeits­bedingung stationärer Gastlichkeit, 2. die raum-zeitliche Prozessierung gastlicher Verhältnisse durch Architekturen und Infrastrukturen sowohl im Privathaushalt als auch im Hotel, 3. das spezifische Koexistenzmanagement anthropomedialer Tischgesellschaften unter Extrembedingungen sowie 4. die in all diesen Zusammenhängen konstitutiven medialen Delegationen.

Die Dissertation wurde von 2015 bis 2018 durch ein Promotionsstipendium des Kompetenzzentrum Medienanthropologie (KOMA) sowie 2022 durch den »Publikationsfonds für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchskünstlerinnen« des Gleichstellungsbüros der Bauhaus Universität Weimar gefördert.

 

 

 

Vorgarten in Nenagh, Irland, Februar 2016, eigene Fotografie.